Freiheit heißt flexibel sein.

Gertraud Filgis Juli 2004

Durch die holländische und norddeutsche Kanalwelt von West nach Ost

Die Iroquois Fun Too ist bei sehr schlechtem Wetter von St.Malo, Kanalinseln, Dover, Dünkirchen Vlissingen, Osterschelde durch die Schleuse bei Tholen gelangt. Die letzten 4 Wochen hatten wir Starkwinde und Sturm bis 9 Bft sowie viel Regen. Ob diese Wetterkapriolen durch Klimaveränderung bedingt sind oder nur eine Laune der Natur?

Es ist der 12.7. Um 13,55 meldet die Deutsche Welle wieder für die südwestliche Nordsee: NW 6-7 Bft, Böen 8, See 2-3 Meter, also gegen an. Das tun wir uns nicht an, darauf haben wir schlicht weg keine Lust. Etwas frustriert fällt bei uns spontan der Entschluß, den Masten zu legen, um vorwärts zu kommen. Diverse Kanalrouten werden überlegt, mit Schwerpunkt: welche Gegend kennen wir noch nicht. Die Strecke Amsterdam sind wir bereits mit der Antigua vor 9 Jahren gesegelt über die Friesischen Inseln, Helgoland, Nord-Ostseekanal bis Kiel.

Die folgende Route war nie ins Auge gefaßt worden, doch da wir jederzeit, an jedem x-beliebigen Ort den Masten selbst aufstellen und legen können, also unabhängig sind, können wir sehr flexibel sein. Das flache Holland durchkreuzen weitverzweigte, reizvolle Meeresarme, Deltas, Ströme, Flüsse und Kanäle. Es gibt fast keine größere Stadt, die nicht am oder in der Nähe von Wasser liegt und kreuz und quer per Boot erreicht werden kann. Eine unglaubliche Leistung für dieses kleine Land! Dieses System schafft Arbeitsplätze und ausgedehnte Freizeitreviere. Rückblickend sind wir froh, die Vielfalt der holländ. Wasserwelt erlebt zu haben, die wir als Route wählten. Als Alternative gäbe es noch die stehende Mastroute, „Staande Mastroute“, die von Vlissingen hier im Süden, über Amsterdam rauf nach Delfzig im Mündungsbereich der Ems nach Norden führt. Was uns davon abhielt, das waren neben 20 Schleusen noch 88 zeitraubende Brücken, allesamt dreh-, schwenk-, klapp- oder sonst wie zu öffnen plus unser schnell zu legender Masten.

Wir fahren durch Brabants Kanäle: Schelde-Rijnkanal, Steenbergse Vliet, Mark en Dintel, Markkanal. Den Wilhelminakanal mit viel Industrie, kreuzen die Maas, welche nach 890 km hier im großen Delta mündet. Wir motoren den äußeren „Finger“ des Biesbos hoch. Der Biesbos ist ein Sumpfgebiet mit Schilfinseln und dschungelartigen Wäldern mit verschlungenen Wasserwegen. Im 15.Jh. lag hier noch fruchtbares Land. Doch dann kam am 18.Nov.1421 die St.Elisabethflut, eine der größten Überschwemmungen. Deiche brachen, die Nordsee strömte über das flache Polderland. In der Nacht wurden 72 Kirchdörfer zerstört, 10.000 Menschen ertranken. Damals entstand hier ein Binnensee, der sich allmählich mit dem Schlamm der vielen darin mündenden Flüsse und Bäche füllte. Rund 100 Inseln entstanden. Seitdem der Rhein-Maas-Delta eingedeicht ist, gibt es im Biessbos kaum noch Ebbe und Flut. Dafür ein paar Naturschutzgebiete. Durch eines, Steurgat, fahren wir hindurch. Wunderschön!! Wir münden in den Wal, einen der beiden Rheinmündungsarme und fahren ihn 8 km hoch, bei einer Gegenströmung von z.Zt. 2,5 km/h. Nach der Schleuse erreichen wir abends nach 12 Stunden das nette Städtchen Gorinchem. Tagsüber sehen wir intakte Windmühlen, deren tuchbespannte Flügel sich im starken Nordwest drehen, Kleinvögel, die auf hohen Schilfhalmen wippen und für diverse Wasservögel ist dies ein Paradies. Am Schilfgürtel werden Aale rausgeholt, die sehr zart schmecken. All und Matches, der noch nicht geschlechtsreife Hering, zu verkosten, das ist hier in Holland ja ein Muß! Wir kommen an relativ vielen Marinas vorbei, die voller Motorboote sind. Einige sind unterwegs: Wohnwägen auf dem Wasser, denn Holland macht Urlaub. Alle Brücken haben laut Karte eine Höhe von 3 Metern. Eine schwenk- bare Eisenbahnbrücke hingegen plötzlich nur 2,5 Meter, Öffnung bei Bedarf Nirgends eine Telefonnummer. Z.Zt hat Fun Too exakt auch eine Höhe von 2,5 m. Mit gaaaanz wenig Gas und viel Herzklopfen schleichen wir gerade so hindurch, als uns ein Windhauch packt und ohrenbetäubender Lärm zusammenzucken last. Ein donnernder Zug fährt unmittelbar über unsere Köpfe hinweg. Aber der Masten kratzt nicht die Farbe von den Querbalken. Bingo, geschafft!

Auf dem Wal reiht sich die Großschifffahrt im 5 Minutentakt aneinander. Öltanker an Öltanker, und Container-Riese an den nächsten Holland gleicht hier auf dem Rhein einer Pipeline oder Frachtautobahn. Unglaublich, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Nach der letzten Schleuse durchfließt der Kanal also 2 km lang das Städtchen Gorichem wie eine Hauptstraße und Sehenswürdigkeit, wobei das rechte Ufer als Festmacher für Boote dient ( 1 Bootsmeter = 1 Euro), während man linkerhand hautnah an Wohnzimmerfenstern und Balkonen vorbeifährt. Aus einer Pizzeria umweht Oreganoduft unsere Nassen.

Am nächsten Morgen folgen wir dem Meckwedekanal bis zur Vianenschleuse. Es sind viele Betonwerke angesiedelt. Doch hauptsächlich stehen niedrige, mit Ried gedeckte Häuschen, deren liebevoll gepflegte Gärten und Terrassen zum Kanal hin liegen.Die Gegend ist urgemütlich. Große blanke Fenster geben den Blick in die Wohnzimmer frei. Es gibt Windmühlen und allerlei Viecherei: eine Katze an der Leine, einen Ganter bei Fuß, der auf Schritt und Tritt folgt, Ziegengehege im Vorgarten oder Damwild als Zucht, dazu Kühe, Schafe, Pferde und alles, was Gras frisst.

Bei Nieuwegein münden wir in den Lek, den zweiten Rheinmündungsarm. Er ist durch einige Schleusen reguliert. Hier ist sozusagen das Verkehrskreuz, wie die Autobahn bei Frankfurt.Unser Weg kommt von Antwerpen, der Nordsee, von Maas, Waal und Rhein. Es zweigt ab die Richtung Ijsselmeer und Amsterdam an der Amstel., das einst auf Pfählen im Sumpfgebiet erbaut und von verkehrsreichen Grachten durchzogen ist. Und nicht zuletzt von Rotterdam an der Neuen Maas. Es soll der größte Hafen der Welt sein und Erdölumschlagplatz.Wir schwenken ein in Richtung Arnheim. Die Großschifffahrt ist unbedeutend. Sie kann es sich gar nicht leisten, durch unnötiges Schleusen Zeit, sprich Geld, zu verlieren. Motorboote hingegen fahren im Konvoi in alle Richtungen Für Marinas ist reichlich gesorgt. Fun Too fährt im aufgedämmten Tal des Lek. Dächer und Kirchturmspitzen lassen Ortschaften erahnen. Die Ufer beleben tausende von Gänsen, die sich in großen Flöcken wohlfühlen.

Bei Km 927 Wijk kreuzt der von der Berufsschifffahrt sehr stark frequentierte „Amsterdam-Rheinkanal“ „unseren“ Lek, der sich ab jetzt Niederrhein nennt, noch recht schnell ist, mit 1 km/h Gegenstrom und 190 Meter lange Schleusenkammern besitzt. Aufkommender Dauerregen last uns in der YH-Vada Wageningen einlaufen, wo der Bootsmeter 1 Euro kostet, heiße Duschen frei, Strom extra.

Ein Tel.-Anruf bei der Schleuse Almelo bestätigt uns, daß die bestehende Querverbindung zwischen NL und Deutschland, der Almelo-Nordhornkanal-Ems-Vechtek geschlossen wurde,d.h., wir müssen runter zum Rhein

Der Stadthafen von Arnhem „Valkenberg“ ist total überfüllt. Wir hängen mal bei einer Werft, mal an einem Promhaus. Tag und Nacht rangiert die Großschifffahrt unmittelbar vorbei. Dazu Regen. Immer noch. Wenn es nicht stürmt, regnet es.Wann und wo hatten wir so schlechtes Wetter wie heuer? In die Stadt Arnheim ist der Weg weit Um den langen Marktplatz gruppieren sich schmucklose Verwaltungshäuser und die Grote Kerk. Das alte Rathaus, schön erhalten, zieren Teufelsfratzen.Alte, nette Bürgerhäuser stehen in der Fußgängerzone.Nach 30 km Niederrhein-Pannerdenskanal kommt die Gabelung zum Waal und Vater Rhein hat uns wieder. Der Verkehr nimmt rapide zu, ebenso die Gegenströmung, die ca 2.5-3 kn beträgt.Gästeflaggenwechsel bei Lobith-olkemer. Das Norddeutsche Tiefland ist eintönig, ebenso wie der bleigraue Himmel darüber. Die Frontansicht von Emmerich bringt mit Bunttönen etwas Abwechslung in die Gegend. Die Stadt lebt von Spirituosenfabriken.

Bei km 845 Rees steht Kalkar, das geschlossene Atomkraftwerk, dessen Kühlturm gemalte Alpengipfel zieren. Die Anlage wird als Freizeitpark mit Riesenrad genutzt.Genau gegenüber geht es zum WSC Rees rein, Bootsmeter 1 Euro, Dusche extra.

Nächster Tag: Es ist wahr, wolkenloser Himmel und Sonnenschein. Das Verkehrsaufkommen im relativ schmalen Strom ist immens. Da ist der Englische3 Kanal bei Dover/Calais dagegen ein Naherholungsgebiet. Alle halbe bis zwei Minuten, also pausenlos fährt ein Schiff an uns vorbei, wie im engen Konvoi. 50% Öltanker, 30% Containerfracht, 20 % Rest, z.B. billige Auslandskohle rauf zum Ruhrgebiet.Es ist uns unmöglich, wie sonst, die Heckwellen auszunutzen, da sofort auch die Gegenwellen ankommen und es wird 27 km lang eine arg nasse Schaukelei.Wir haben immer ein Schiff vor, neben oder hinter uns, dieser Rheinverkehr ist wie ein Güterzug mit kleinen Lücken Die großen Kreuzfahrschiffe auf dem Weg nach Amsterdam haben nur schweizer Flaggen. Der 9.9 PS AB Yamaha schiebt die 3 t leichte Fun Too zwischen 2.2 -4.3 kn über Grund.Sollte es hier Fische geben, sind die garantiert gehörgeschädigt. An km 837 liegt die Stadt Rees. Das ganze Ufer entlang zieht sich eine Wehrstadtmauer mit Zinnen und runden Wachtürmen entlang.

Km 815 Wesel mit Ind.Gegend mit Einmündung der Lippe, Bei km 814 verlassen wir den Rhein, den wir jetzt wirklich von der Deltamündung bis rauf zum schiffbaren Ende bei Niffer-Basel kennen und der hier eigentlich ein in Kieswälle hochgelegter, eingedeichter Kanal ist, ohne schöne Auenlandschaften wie z.B. die untere Donau, münden in den Wesel-Datteln Kanal, mit einer Länge von 60 km und mit 6 Schleusen von je 200m !! Länge, mit relativ viel Verkehr, da es die einzige Querverbindung ist.Bei Marl liegt der Chemiepark mit riesigen Ind.Anlagen, gefolgt von Kohlehalden.Nach 12 Stunden, um 20 Uhr, können wir gerade noch oben an der Flaesheimschleuse am Warteponton festmachen, als am wirklich schwarzen Himmel eine graue Walze heranrollt, dann Wind, fliegende Blätter und Regen folgen sofort, begleitet von Blitz und Donnergrollen.Das Spektakel dauert bis weit nach Mitternacht und wird viele Keller in Nordrhein Westfalen überfluten, sowie eine Bahnlinie unterspülen und lahm legen.

Vor uns fahren 2 Schlepper mit je 87 m Länge. Bei der letzten Schleuse fragen wir via VHF an, ob sie noch 10 m Platz für uns haben und bekommen zur Antwort:“ na klar, das Katamaran, das nehm wa noch mit“.Direkt nach der Dattelnschleuse zweigen wir nach links ab in den Dortmund Ems Kanal, der über die Lippe führt. Heute, am 18.7. hat sich soeben der Kreis geschlossen, denn am 30.9. vorigen Herbst, kamen wir diese Strecke von der Ostsee her, nicht ahnend, dass wir sozusagen Frankreich umrunden werden. Im Radio auf NW 4 wird soeben eine Suchmeldung aufgegeben, gesucht wird der Sommer 2004 und gleichzeitig gewarnt vor weiteren kräftigen Gewittern.

Am Stadtkaj in Münster ist wieder allerhand los mit dröhnenden Lautsprechern und Trommlerband. Ruhig verhält sich die Springstiefelgruppe samt Schäferhunden.Vor 22 Uhr löst sich alles auf, denn das angekündigte Großgewitter ergießt sich blitzend und grollend über der Stadt, die seit dem 13. Jh. Hansestadt war.1648 wurde hier der Westfälische Friede unterzeichnet, der zur Beendigung des 30 j. Krieges führte. Die Stadt von Jürgen Möllemann, der Fahrradfahrer und des neu aufgebauten Stadtkerns, der im letzten Krieg zerbombt wurde. Fun Too liegt sicher vertäut und last das Unwetter über sich ergehen. Zu Tankstelle und Supermarkt sind es nur 8 Minuten und bald schiebt uns der brave AB weiter. Der WDR 4 berichtet von den schweren Unwettern, welche uns und das Ruhrgebiet nachts heimgesucht haben. Von gesperrten Bundesstraßen, gestrichenen Zügen und vom Pferdewagen, der 400 m vom Wirbelsturm durch die Luft geschleudert wurde. Von abgedeckten Dächern, umgeworfenem Bagger, hagelgeschädigten Autos. Wir scheinen vom Regen in die Traufe gekommen zu sein, doch wir können täglich weiterfahren. Dabei fehlt zu unserem Glück bloß der Sonnenschein. „Geh mir aus der Sonne“ sprach schon philosophierend Diogenes in der Tonne.

Nach der Überquerung der Ems folgen im Kanal Ausbauabschnitte. Bei km 108 geht für uns der 235 km lange MLK weg, die Verbindung zwischen Rhein und Elbe. Nach 12 Stunden sind wir in der Box des WSV Preußisch Oldendorf und bezahlen 80 Cent/ Meter, inkl.Strom.

Kaum hat der nächste Tag begonnen, fängt der Regen an. Das Tief trägt den Namen „Grete“. 11 Stunden wird der Skipper triefend ausharren und Fun Too bis Hannover bringen. B ei den Frachtkähnen haben die Flaggen gewechselt, statt Holland fährt jetzt hier Polen, Tschechien und die deutschen Schiffsnamen enden überwiegend auf „ow“. Bei km 96 liegt Minden, der Kreuzungspunkt der

Weser und des MLK, nördlich der Porta Westfalika. Km135 YH Idesen. Der Regen ist so gewaltsam dicht, dass die km-Tafeln am Ufer nicht leserlich sind. Doch von dem für diese Gegend mehrfach im Radio vorgewarnten Sturm bis Orfkanböen bleiben wir verschont. „Jetzt bin ich schon naß, ich fahre weiter“, ist der Kommentar des Skippers auf meinen fragenden Blick. Hinter Hannover, auf KM 172, 2km einen Seitenkanal rein, liegt der YH Misburg, 1 Euro/Meter all incl.

Der Himmel reißt auf, das Tief ist durch.. In Anderten fahren wir in die Hindenburgschleuse ein, die 217 m lang und 10 „Fenster“ zum Umhängen hoch ist.Hier habe ich mir beim Letztenmal fast den Finger gebrochen.Hinter Braunschweig bei km233 zweigen wir in den ESK ab. Dieser Elbe-Seitenkanal heißt im Volksmund „Heide Suez und genau so nüchtern sind die 115 km auch, wie mit dem Lineal gezogen, 2 m Schotter als Ufer, fertig. –Einzige Abwechslung: eine Heidschnuckenherde. 11 Stunden später übernachten wir im YH Wittingen km 39, Wassertiefe 1,5 m, 1,20 Euro der Meter, Dusche, Strom frei, Waschmaschine oder Trockner a Euro 2,50., und wo man abends mit „moin-moin“ begrüßt wird, voller Vertrautheit und Sympathie.

Nächster Morgen. Erst Dies, dann Hitze 30 Grad. Von einem Extrem ins andere. Km 60, Lüneburger Heide Schleuse Uelzen und dann sind wir wieder in der „Kathedrale“ ohne Dach, die 23 m hoch und 185 m lang ist. An der zweiten Schleusenkammer wird schon gebaut, die Osterweiterung macht sich bemerkbar. In Lüneburg, km 106, steht Europas größtes Schiffshebewerk mit einem Höhenunterschied von 38 Metern. An dicken Stahlseilen hängend, schraubt sich die „Badewanne“ samt Wasser und Booten nach unten. Nach einer guten Stunde mündet des ESK bei Artlenburg bei Km 573 in die Elbe. Nach 5 Km elbaufwärts zweigen wir nach links in den 57 Km langen Elbe Seiten Kanal, wo Lauenburg liegt, ein faszinierender Ort mit Mittelalterflair .Vor Spitzturm und Fachwerk liegt immer noch der Raddampfer „Kaiser Wilhelm“ als Touristenattraktion. Nach der Schleusung kommt nach 10 Km ein Anlieger für die Nacht im naturschönen Elbe Lübeck Kanal.

Um 7 Uhr brummt der Motor, denn ab Mittag sind wieder starker Regen und Unwetter angesagt.Die Schleuse entlaust uns zur historischen Till Eulenspiegelstadt Mölln an der alten Salzstraße gelegen. Der YH ist nah, die Stadt über einen seenartigen Arm zu erreichen.Nach insgesamt 5 Schleusen ist der ESK zu Ende, bzw geht nahtlos in den Travekanal über.

Nach diesen 29 sm begeistert uns der Anblick der 7 Türme der Altstadt von Lübeck, der Königin der Hanse, immer wieder. Herzog Heinrich der Löwe gründete im 12. Jh. Neben München auch Lübeck. Bald beherrschte die Stadt den Ostseehandel als freie Hansestadt. Die Bürger wurden reich. Die Stadt überlebte den 30 j. Krieg und die Besatzung Napoleons. Die in den letzten Kriegstagen zerbombte Innenstadt wurde wieder naturgetreu aufgebaut und jetzt von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Die Stadt des Marzipans zieht uns immer wieder in ihren Bann. Fun Too liegt genau vor der Puppenbrücke, 3 Gehminuten entfernt vom Holstentor, dem Wahrzeichen von Lübeck. Es wurde einst als Wehrbau errichtet. Im Anschluß daran beginnt das Zentrum. Kaum festgemacht, bricht das nächste Gewitter los. An einen Landgang ist überhaupt nicht zu denken.

Anderntags in der Sonne an der Trave sitzend, lassen wir den Blick über das „Malerviertel“ mit Kirchtürmen, Brücke und hübsch als Wohnungen renovierte, ursprüngliche Speicherhäuser schweifen. Entlang der Obertrave stehen wunderschöne Häuser, die meisten aus dem Mittelalter, auch Fachwerk dazwischen, alle in dezenten Pastellfarben gehalten.Davor Blumenkästen und hohe Stockrosen. Passagen geben den Blick frei in gemütliche blumengeschmückte Innenhöfe. Glücklich, wer hier wohnen kann.Wir kommen zum Zeughaus, nebenan der lange Dom, davor hohe Laubbäume. Durch die Fußgängerzone gelangt man zum sehr interessanten Rathaus mit berühmter Außentreppe. In der romantischen Altstadt stehen dichtgedrängte Backsteinhäuser mit historischem Giebelbauwerk.Die Kirchen und bedeutenden Häuser bestehen aus Backsteingotik und wir staunen und staunen. Es gibt Böllcafe und das Günter Grasshaus. Im Arbeitsviertel St. Lorenz wurde 1913 Willy Brandt, Bundeskanzler und Nobelpreisträger, geboren. Das „Buddenbrookhaus“ mit seiner weißen Barockfassade liegt im Herzen der Altstadt. Die Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann haben hier im Hause der Großeltern viele Tage verbracht. Mit dem nobelpreisgekrönten Roman „Die Buddenbrooks“ hat Thomas Mann ein literarisches Denkmal der Weltliteratur gesetzt. Wir bestaunen das Kloster und erfahren, das die Mönche zu Lübeck nicht ganz so sittsam lebten, wie angebracht war und deshalb zur Strafe ins Kloster Cismar/Grömnitz umgesiedelt wurden.An den Kajs liegen viele ozeangehende Frachter, sogar von Istanbul ist einer gekommen. Laut Statistik wurde im Ind.Hafen Travemünde-Lübeck noch nie so viel Ware gelöscht, gab es noch nie diesen hohen Frachtumschlag wie dieses Jahr. Es geht aufwärts.Ein neu zu bauendes Verladeterminal für die Großschifffahrt 14 km traveaufwärts ist im Gespräch und die Yachties, darunter auch ein Münchner, bangen um ihre sehr gute Marina, wo die Boote auch im Winter im Wasser bleiben konnten.

Für die anstrengenden letzten Wochen mit fast täglichen 12 Stunden unterwegs belohnen wir uns mit einem Abend in der Freilichtbühne Johanneum mit einer dreistündigen beschwingten „Sommernacht der Operette“ mit ca 40 Mitwirkenden. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Heute, am 24.7. wurde vom Bürgermeister mit den Worten“Heiß Flagge“ zum 115 mal die traditionelle Travemündener Seglerwoche eröffnet. An dieser Seglerveranstaltung nehmen 3.000 Segler aus 16 Nationen auf 900 Booten teil. Übernachtet wird überwiegend in Zelten oder Campingbussen. Die große Bucht ist voller großer und kleiner Segel. Zum Auftakt werden an 10 Bahnen um den Sieg gekämpft. Zwar ist das nasse Wetter immer ein Thema, doch alle Regatten können durchgeführt werden. Es wird mit 800.000 Zuschauern gerechnet. Auf der Meile am Kaj ist zeitweise noch mehr los wie auf dem Wasser. Es wird eine Vielfalt als Rahmenprogramm geboten, z.B. Pantomimen, Kung-Fu-Show, eine Piratenshow „Freibeuter aller Meere“, Spanische Folklore, Disco, Sommerhits nonstop mit Tanz, eine Beatband, die Oldies und Evergreens spielt, ohrenbetäubende Rockmusik auf großer Bühne, eine Trapezshow uvm.Für jedes Alter und jeden Geschmack wird etwas geboten, ebenso wie für jeden kulinarischen Gaumen. Von Creppes, Bratwürsten, Thainudeln, Frittiertem, Erbsensuppe über Matjes, Fischbrötchen und Labskaus bis zu Eis und Zuckerwatte in allen Farben. Döner Kebab und honigduftendes Baklava fehlen auch nicht und die salamiartigen 1 cm dünnen, 60 cm langen Piratenstangen gibt es im 10er Pack zu 5 Euro.

Und natürlich Siegerehrungen für die vielen teilnehmenden Klassen vom Flying Dutchman, über Laser Radial, Tornados, Trias, Piraten und Volkeboote, Sprinta-Sport bis 5,5er,DJM 420er und einige mehr.Wir nutzen ein erweitertes Zugangebot mit Sonderpreis von Lübeck aus und können so auch noch das abgehaltene Feuerwerk vor Mitternacht sehen.Den Abend verbringen wir im Zelt von NDR1-Welle Nord, wo wir später einen Sitzplatz ergattern, um eine 7-Mann B luesband zu erleben. Super.Vor der Hafenausfahrt auf der Halbinsel Priwall liegt die 4Mastbark „Passat“, beleuchtet und flaggengeschmückt, das Wahrzeichen von Travemünde.Die Werft Leisz hat die 5 sogenannten „Flying P-Liners“ gebaut: „Preußen“ im Krieg gesunken, „Posen“ liegt im Hafen von New York, „Padua“ fährt noch und zwar unter russischer Flagge,“Pamir“ ist im Sturm vollbeladen gesunken, wobei viele junge Matrosen ihr Leben ließen. Es wird vermutet, dass sich die Ladung verschoben und so die Kenterung verursacht hat. Daraufhin wurde der „Passat“ die Fahrerlaubnis entzogen, obwohl sie als Salpeterfrachter von Valparaiso/Chile einige male Kap Hoorn gerundet hat. Die Stadt Lübeck kaufte die „Passat“ und stellt sie als Besichtigungsobjekt jedermann zur Verfügung.

Ein paar Meter weiter ist noch eine Sehenswürdigkeit zu bewundern: das Sandskulpturen-Festival. Es steht im Zeichen des Mythos Olympia. 70 Skulpteure aus aller Welt gestalten am Priwallstrand aus 9.000 t Sand die bis zu elf Meter hohen Meisterwerke und erschaffen einen einmaligen Skulpturenpark. Uns beeindrucken besonders die sitzenden Pharaonen. Die Fährverbindung geht non Stopp über die Trave. Von Trelleborg fährt die große Fähre „Nils Holgersson“ ein. Die Bordwand ziert die Gans Martin, auf deren Rücken sich der Knirps Nils mit der roten Zipfelmütze festhält. Wir haben diese Autofähre schon des öfteren benutzt. Am nächsten Morgen in Lübeck, als die Crews der anderen Kielboote die Luke öffnen und in die Sonne blinzeln, ertönt ein kurzes, nicht einzuordnendes Knallgeräusch. Man sieht sich um und zuckt mit den Achseln. Bis auf das Boot am Ende des Kajs. Der Eigner wollte seinen Masten legen, wie schon xmal zuvor. Ob ihm ein Fehler unterlief?, denn das Mastoberteil brach ab und lag samt Saling und Verstakung in der Trave. Für Gesprächsstoff war mithin gesorgt. Pantaenius wird's wohl richten?

Die Trave umfließt Lübeck, was die Stadt einst zur gut zu verteidigenden Insel machte. Wir durchfuhren inzwischen die letzte Brücke von 2.90 m und finden am Hansahafen, Nähe Burgtorbrücke einen kleinen Gästesteg. Keine Gebühren, Strom gegen Münzen. Im 5 Min. entfernten Seemannsheim kann man für 2 Euro duschen, heiß und ausgiebig. Der Masten wurde selbst, mit etwas Stress wie immer, aufgestellt.“watt mutt, dat mutt“, meint ein Nachbar dazu. Wir fahren die 12 sm runter zum Ostseebad Travemünde, bleiben dort ein paar sonnige erholsame Tage, dann vorbei an der Halbinsel Privall mit Fährbetrieb, Tankstelle und der Passat. Eine Scandlines Fähre, 150 m lang und beladen mit Lastzügen nach Polen, Littauen, Lettland, Estland Russland, Finnland und Schweden schiebt ihre Riesenaufbauten an uns vorbei. Nach dem Hotelturm „Maritim“ und dem Leuchtfeuer öffnet sich die Lübecker Bucht trichterförmig. Das Süßwasser wird salzig, die Ostsee hat uns wieder. Am Timmendorfer Strand wird gespielt, geplanscht und gesonnt Das Hoch Erich und Sonne satt machen es möglich. Schäfchenwolken ziehen über den strahlend blauen Himmel. Kleine Wellen kräuseln das Wasser. Ob wohl es schon Nachmittag ist, segeln die Yachten wie Perlen auf einer Kette hinaus aus der Trave in die Lübecker Bucht. Segelschulen fahren ihre Manöver. Wir wollen nur 10 sm bis Grömitz segeln. Das Ziel der meisten Fahrtensegler von hier aus ist die Insel Fehmarn, ein ideales Sprungbrett für Törns in die Inselwelt der „dänischen Südsee“, in die Eckerförder Bucht, die Kieler- und Flensburger Förde, sowie in die Schlei. Von Grömitz aus hoffen wir einen besseren Kurs gen Osten zu haben.

Am nächsten Morgen deckt Hochnebel die Ostsee. Windvorhersage: N-NW 3-4,später 5 Bft. .Optimistisch ziehen wir die Segel hoch. Ein Nordwind der Stärke 2 Bft bringt uns sachte durch ruhiges Wasser, auf dem der grünliche Algenteppich immer dichter flockig wird. Durchsichtige Quallen pumpen sich vorwärts. Was uns stundenlang nervt, sind hunderte von wespenartigen Fliegen, die einer Plage gleich, von Boot und Crew Besitzt ergreifen. Nach 26 SM in 9 Stunden und der Entdeckung der Langsamkeit, machen wir im neuen, groß angelegten Yachthafen Kühlungsborn fest. Tarif: Bootsmeter 1,50 Euro, plus a 2,-- Euro Kurtaxe, Duschen extra, vorerst noch im Container. Am langen Sandstrand stehen Sandkörbe en mass, am Ufer mit Grünanlagen super renovierte Hotelanlagen und neue Eigenheime.

Die Wellen gehen hoch, das Thema ist brisant. Zwischen Flensburg und Rügen sollen in naher Zukunft über tausend Windkraftanlagen als ultimative Energiequelle gebaut werden, entsprechende politische Rahmenbedingungen vorausgesetzt und wir den heutigen Atomstrom ersetzen. Das Planungsvorhaben wird vorangetrieben, da das Binnenmeer Ostsee mit einer durchschnittlichen Tiefe von nur wenig über 20 Meter für die Betreiber der Windparks billiger „Baugrund“ ist. Natürlich gibt es auch viele Einwände der Bedenkenträger, teils sogar berechtigt, gegen die Offshore-Windparks. Einer davon soll hier in der Mecklenburger Bucht stehen, 20 km vor Wismar, Größe ca 13,5 qkm, was für dieses Gebiet ein generelles Befahrungsverbot zur Folge hätte, auch für die Fähren. Bürgerinitiativen formieren sich in Verbänden von Naturschutz, Fischerei, Tourismus, Seglern. Die Emotionen gehen hoch: was wird aus dem Ökosystem der Ostsee? Wo bleiben die Segler, müssen sie jetzt Slalom fahren oder Riesenumwege? Gegenargument schwarzer Peter: die das Ökosystem der Ostsee schon jetzt gefährden, sind nämlich die Segler!!, ob durch Ankern, Wellenschlag, Einleiten von div. Abwassern, Antifouling, ignorieren von Schutzgebieten usw. Wie auch auf allen Seiten argumentiert werden mag, die Zukunft ist wohl nicht aufzuhalten.

Der Nord 4 Bft. hat sich gut durchgesetzt, kleine weiße Schaumkronen lecken die Bordwand hoch. Inmitten von ca 40 anderen Yachten segeln wir vorbei an Heiligendamm, wo wieder alles neu und sehr luxuriös renoviert wurde. An den langen Sandstränden genießen Urlauber das Hoch Fabian, Sommersonne satt bei 27 Grad, zwischen Strandkörben, Sonnenschirmen, Windschutzwänden und bunten, halb offenen Stoff-Iglus, So wie wir ein herrliches Segeln unter gestreifter Großgenua und Groß bei 6 kn, um so mehr, als wir mit der Antigua vor 9 Jahren, von Wismar kommend, auf halber Strecke eine Winddrehung und 7/8 Bft. Hatten und mit 2 Dieseln gegenan kämpfen mussten, bis die Warnow uns Schutz gab. Yachthafen Kühlungsborn gab es damals leider noch nicht.

Vor dem Leuchtturm vom Seebad von Warnemünde und dem Hotel „Neptun“, das die Schweden 1968 bauten, befinden sich am Sandstrand wieder tausende von Urlaubern mit Strandkörben und bunten Zelten. Den Fluß Warnow flankieren 2 große Feuer auf hohen langen Molen. Fähren laufen dazwischen ein und aus. Beim roten Leuchtfeuer sitzen in den Steinen Petrijünger und warten, mit langen Angelruten, auf ein Wunder. Hinter der Mole mit dem grünen Feuer liegt, so zu sagen in deren Schutz, der neue Jachthafen von Warnemünde „Hohe Düne“ Er ist seit April in Betrieb, aber noch nicht ganz fertig und bietet 750 Liegeplätze. Daneben wird ein Hotel hochgezogen. Der repräsentative Hafen an dieser östlichen Warnowmündung ist nach seiner kompletten Fertigstellung ein Kernsstück der Olympiade-Bewerbung Rostock für 2012.

Fun Too segelt mit „Schmetterlings-segeln“ in die Warnow rein und die 12 km nach Rostock hoch, In Warnemünde ist der kleine Stadthafen schon knackvoll. Am Tummelplatz dreht sich das Riesenrad, ist Gedränge und Geschiebe zwischen den Schaubuden und das schon am Vormittag. Auf dem Wasser herrscht quirliger Betrieb von ein und auslaufenden Yachten, gläsernen Sightseingbooten, es kreuzen 2 lokale Fähren, es motoren Fischerboote zu ihrem Hafen Richtung Fischkombinat. Wir segeln durch eine Allee von Kränen, ein Werftkran kann 50 t auf 30 Meter Entfernung heben. Links geht's zum „Breitling“, einer seenartigen Verbreitung der Warnow, mit Silos , Container- und Ölhafen. Weiter, am Skandinavienkaj, liegt die Fähre „Dronning Margarethe II“, nebenan die Trelleborgfähren „Tom Sawyer“ und „Huckelberry Finn“ der TT-Line, beide alte Reisegefährten von uns. Es legt ab der 5-stöckige Finnjet nach Helsinki. Und über allem schwebt ein grüner Zeppelin und macht Reklame für Fujifilm.Rechterhand stehen die Hochhäuser der Plattenproblemsiedlung, am Ufer davor an einer roten Anlegestelle eine Bronzefigur, ein Pferd darstellend, auf dem Neptun mit dem Dreizack reitet.

Am Kaj liegt schon der Dreimaster „Fritjof Nansen“ und vor uns motort ein polnischer Oldy, die „Fryderyk Chopin“ aus SZCZECIN, sowie ein Bodder mit Totenkopfflagge, den wir schon in der Trave sahen.Mittlerweile kamen wir auf der Flußstrecke schon an 6 Clubmarinas vorbei, alle voll belegt von Lokalmathadoren. Am Ufer folgen Luxusanwesen wie in Starnberg, mit Privatstegen am Schilfgürtel. Wer sagt, es geht hier nicht aufwärts?? Nach der letzten Biegung staunen wir noch mehr, wie sich hier durch Neubauten und Anlagen alles verändert hat, seit dem Fall der Mauer. Die Stadtkulisse wird verdeckt von Segelmasten des privaten Yachthafens. Vor 9 Jahren war hier gar-nichts!! Dann sind wir in der Hansestadt Rostock angelangt.

Rostock: Hanse- und Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern liegt an der Warnow und ist berühmt durch seine Backsteingotik.Die Altstadt hat den 2. Weltkrieg gut überstanden.Spaziergang: das Kröpeliner Tor ist mit seinen 54 Metern das höchste der 4 noch erhaltenen Stadttore. Am Universitätsplatz (Fußgängerzone) steht das in weiß-rot-schwarz gehaltene Hauptgebäude von 1870, dessen umlaufende Terrakotta-Schmuckbänder bes.sehenswert sind, dazu Figuren, welche div. Fakultäten symbolisieren. Auf diesem Platz steht auch das Blücher-Denkmal. Der große Feldherr ist ein Sohn Rostocks.In den Befreiungskriegen gegen Napoleon wurde er als „Marschall Vorwärts“ berühmt. Wir schlendern an hohen, sehenswerten Fünfgiebel-Häusern vorbei. Ebensogut gefällt uns der Rostocker Hof. Eines der schönsten spätgotischen Giebelhäuser ist das Ratschow-Haus. Am Ziegenmarkt steht eine bronzene Ziegenskulptur mit prallem Euter. Nebenan erhebt sich mächtig die gotische Marienkirche aus dem 13.-15.Jh. Am großen Neuen-Markt gibt es Obst-Gemüsestände.Es duftet nach Erdbeeren und Kirschen, Pfirsichen und Pflaumen. Den Wespen geht es gut! Das Rathaus ist ein Blickfang des Platzes. Auffallend ist die spätgotische Schaufassade mit den 7 Türmen und der barocke Vorbau mit 7 Rundbogenarkaden. Seitlich davon steht ein gut angepasster Neubau mit Treppengiebeln, darin sind Post, Stadtverwaltung und das Touristbüro untergebracht.Einige Gehminuten weiter steht das imposante Backstein-Ständehaus. Der Name bezieht sich auf die Landstände: Adel, Bürgertum, Klerus. Hinter dem Rathaus steht noch das Kerkhoffhaus, sehr sehenswert. Interessant ist auch das Steintor. Es stammt aus dem 15.Jh. wurde 1942 durch Bomben schwer zerstört und wieder hergestellt. Bei der Umrundung fallen 2 sehr unterschiedlich gestaltete Seiten auf: Stadtauswärts ist die Wand sehr einfach gehalten, die der Stadt zugewandten Seite ist aufwändig ausgeführt.Löwen halten die 3 Wappen Rostocks, die im Laufe der Zeit benutzt wurden. Darunter in goldenen Lettern der lateinische Spruch „In deinen Mauern herrsche Eintracht und Wohlstand“.

Der Stadthafen erstreckt sich vom Mönchstor bis zur Fischerbastei. Hier am alten Hafen an der Warnow zeugen erhaltene Speicherhäuser von der einstigen Bedeutung als Umschlags- und Handelsplatz. Diese nördl. Altstadt wurde im 2. Weltkrieg stark bombardiert. Beim Wiederaufbau wurde grünglasierter Klinker verwendet. Durch Arkaden und Sattelgiebel sieht alles gut angepaßt aus. Seit dem Fall der Mauer wurde mittels Westgeld die ganze Stadt saniert. Selten noch sind graue Mauern vorhanden, wo der Putz sich selbständig macht, wie wir es noch vor 19 Jahren erlebt haben. Rostock, Du bist eine Reise wert!

Was uns diesmal angelockt hat, ist die 14. Hanse Sail Rostock, die vom 5.-8- August stattfindet. Aus 10 Nationen werden 270 Boote erwartet zum größten Treffen im gesamten Ostseeraum: Großsegler, Koggen, Bodder, Traditionssegler, Windjammer, Brigantinen, Museumsschiffe , Oldtimer, sowie Wasserflugzeuge. Und es kommen natürlich jede Menge „normale“ Yachten, zu welchen auch Fun Too gehört. Nach einigen Schwierigkeiten dürfen wir doch in einer kleinen Lücke am Kaj festmachen, wir waren nicht gemeldet. 2 Plätze weiter liegt eine schmale lange Rennyacht mit der Aufschrift „ABC Grundbesitz“ die wegen ihres Tiefganges von 3,85 m nur hier liegen kann. Es ist die ehemalige „Illbruck“, welche 2002 die Weltumseglung gewann. Sie wurde verkauft, aber ohne den Familiennamen.

Zum Auftakt pilgern wir vor zur Hanse Sail Bühne und über den ausgelegten roten Teppich, der bewacht wird von Polizei und Securitasleuten. Es ist 17 Uhr. Auf der Bühne singt erst ein Shantychor und dann Jo Cocker, sehr beliebt, und krächzt ins Mikro „You are so beautyful“. Im Anschluß hält der Bürgermeister eine Rede. Ebenso der Ministerpräsident Harald Ringstorff, unter dessen Schirmherrschaft die Veranstaltung steht. Nach ihm betritt im hellgrauen Anzug der Finanzminister, Herr Hans Eichel, die Bühne zur Ansprache. Er macht hier an der Ostsee gerade Urlaub und bedankt sich für die Ehre, nach Rostock eingeladen worden zu sein. Im Eifer des Gefechtes verwechselt er zunächst kurz Mecklemburg-Vorpommern mit Schleswig Holstein, bemerkt es aber sofort. Das ist menschlich und verzeihlich, bei einem in letzter Zeit so viel gereisten Mann.Er kommt gerade zurück von Tallin und Riga, lobt überall das Vorankommen und gelobt auch weitere Unterstützung. Er spricht vom Meilenstein des friedlich geeinten Europas, dem Zusammenschluß mit den nördlichen Staaten, weist auf den Fortschritt des Handels mit ihnen hin, denn Rostock ist schon immer durch Handel groß geworden. Er mahnt noch, das Geld in Deutschland zu lassen und nicht mit der „Pavenee“ in die Karibik zu schicken, deren Masten gut zu sehen sind. Dann wird dem Minister eine Schiffsglocke in die Hand gedrückt, die er lachend einige Male anschlägt. Es ertönen Salutschüsse, die 14. Hanse Sail Rostock ist um 18.15 Uhr eröffnet.

Es folgt ein ausgezeichnet guter Musikabend mit Dixi, Jazz und Rock `n Roll und ich mache die Erfahrung, dass Alsterwasser eine Radlerhalbe ist. In einer Musikpause kommen wir durch Zufall dazu, als der Eisbrecher „Stettin“ vom Kohlebunkern die Warnow wieder hochkommt. Die 7 Meter kleine „Unikum“, ein nachgebautes Piratenschiff mit Ausguckskorb am Masten, schwarzem Rahsegel und Totenkopfflagge, die Besatzung mit Dreispitzhüten, Augenklappen und Sektgläsern versehen, kommt dem eisernen Riesen gefährlich nahe vor den Bug. Dieser lässt Dampf ab und tutet und tutet. Bevor der kleine Pirat sich gasgebend aus dem Staub macht, feuert er aber noch schnell einen Böllerschuß aus seiner1 /2 m langen (Start) Kanone auf die Stettin ab. Großes Lachen und Händeklatschen .Übrigens, es werden 1 Million Besucher erwartet, das Wetter ist um die 30 Grad heiß.

Auf einer Fläche von 1,5 Km ist ein Volksfest entlang dem Kaj aufgebaut, mit Riesenrad, Geisterbahn, Autoscooter, Kettenkarussell und modernen Sachen. Beim Skyrider z.B. wird man in einer Kugel, die aus Rollbügeln besteht, in einen Sitz geschnallt. Diese Sitzkugel hängt an dikken Gummiseilen, die an ca 40 m hohen Eisenstangen befestigt sind. Beim Start wird die Kugel, einer Steinschleuder gleich, 50 m, also über die Stangen hinaus, in die Luft katapultiert, wie ein Astronaut in die Umlaufbahn, nur dass hier die Gummiseile die Fliehkraft abbremsen. Die Kugel wird zum Jojo. Ein Jugendlicher findet das „rischtisch oberaffengeil“ und drängt sich zur Kasse vor. In hunderten von Buden gibt es alles zu kaufen: von der Kuckucksuhr, Sonnenbrillen, Modeschmuck über schwedische Holzpantinen, OstseeMöwen und –Türme, Ledertaschen, CD`s und lustige Essbrettchen, bis hin zum Tanga als Sonderangebot für 1 Euro das zartknappe Stück, und die Leute kaufen wie verrückt. Überall brutzelt und dampft es in Pfannen, auf dem Grill oder der Creppesplatte. Es riecht nach Zimt, Eis, Zuckerwatte, Fett, Curry, Fisch, Bier und Erbrochenem und jeder kaut, schleckt oder trinkt etwas.Bei einer Million Besuchern wird hier ganz schön was in 4 Tagen/Nächten umgesetzt werden. Am Bernsteinstand von Danzig erfährt man über das Gold der Ostsee, dass es schwimmt, brennt und gegen Gelenkschmerzen und Ekzeme hilft und das Zahnen bei Babys lindert. Darum Leute, kauft Bernstein und tragt es immer bei Euch! Als wir um Mitternacht Fun Too entern, ertönt vom übernächsten Boot Akkordeonmusik. Trotz der Verlockung mit imitierter Hans Albers Stimme „komm doch Sü-ße Klei-ne, sei die Mei-ne…“ kriechen wir brav in die eigenen Kojen

Nächster Morgen. 95 % der Großboote fährt mit zahlenden Gästen die Warnow runter, um auf der Ostsee die Segel zu hissen, um 1-2 Stunden Segelromantik vorzuführen. Wir fahren 3 Km flussabwärts, um zu ankern und vom Logenplatz alles aus der Nähe zu sehen, wenn die Mastenparade sich um 10 Uhr in Bewegung setzt und an uns vorbei defiliert. Es kommen die Aphrodite-Stavoren, die Hansekogge Ubema –Bremen, voller Wappen. James Cook-Gibraltar, der Raddampfer Freya und der Missisippi Raddampfer Riverstar. Die Astrid – Harlingen. Die Russen haben Cyrillische Buchstgaben. Auf der Regina Moris sorgt eine 3 Mannkapelle mit Klavier, Saxophon und Baß für Stimmung. Der schönen Abel Tasman sieht man die vielen Seemeilen ihres Daseins an. Die beiden schwedischen Damen, mit vollbusigen Gallionsfiguren, kommen aus den Schären nördlich von Göteborg: die Gunillaa von Öckerö und Lady Ellen aus Sskärhamn –Orust/Tjörn. Der Eisbrecher „Stettin“ aus Hamburg wurde 1933 in der Stettiner Werft gebaut, und war bis in die 60er Jahre tätig. Mit seinem breiten, schweren Bug schob er sich auf das Eis und drückte so die Fahrrinnen frei.Er wird mit Kohle beheizt und ist der Liebling der mitfahrenden Touristen, die sich königlich über jedes Tuten freuen, wenn der gelbe Schlot Dampf abbläst. Durch einen Lautsprecher erfährt man, dass es mal sogar ein Fünfmast-Vollschiff gab. Es zerschellte aber an den Untiefen bei den weißen Klippen vor Dover. Es fährt die „Donau“ vorbei, ein Versorgungsschiff der Marine mit Hubschrauberlandeplatz und Marco Polo-Daartmouth, dann der herrliche Dreimaster Oosterschelde-Rotterdam. Die Linden kommt von den Alandsinseln zwischen Finnland und Schweden. Ebenfalls mit Gallionsfigur die Baltic Beauty aus Schweden. Artemis NL, Albert Johannes mit 3 Mast-Gaffelrigg NL. Das Fernsehen kreist per Hubschrauber über unseren Köpfen. Sie filmen eine bilderbuch schöne gelbe Karawelle mit cyrillischen Buchstaben und russischer Flagge. Die Siris führt die deutsche Nationale, ebenso die Odin und Rudolf Virchow-Stralsund. Thalassa-Harlingen NL und der Gaffelschoner Emden, und über alles hinweg fliegt die Luftwaffe in 4er Formation kühne Bögen mit Rauchschwaden. Willem-Amsterdam, Twister-Oban, England. Von irgendwo ertönt Sinatras Stimme „I did it my way“ und Rod Stuarts rauchiger Ausruf „Im flying, I am flying“ Zwischen all dem starten und landen in Ufernähe Wasserflugzeuge. Fetzen von Akkordeonmusik ertönen und mein Film ist zu Ende. Man könnte noch ein paar hundert Namen aufführen voll Begeisterung.

Am Nachmittag segeln wir mit der Fock runter nach Warnemünde. Das einstige Fischerdorf an der Mündung der Warnow wurde schon bald vom 12 Km flussaufwärts liegenden Rostock „erworben“ und ist heute ein Ostseebad mit breitem Sandstrand, gepflegten Häusern und gemütlichen Kneipen. Fun Too findet im „Alter Strom“, der normalerweise den Fischern vorbehalten ist ein Plätzchen im Päckchen, Liegegebühr 14,--Euro. Alter Strom ist eine Fortsetzung der 500 m langen Westmole, auf der auch der aus lasierten hellen Ziegelsteinen vor 100 Jahren gebaute Leuchtturm steht. Sein Licht reicht 24 SM weit. B ei der Warnoweinfahrt schiebt sich das 10-stöckige Kreuzfahrerschiff „Norabeg-Nassau“ an den Kaj. Davor hängt die „Lili Marlene“, die Dreimastbarkentine mit einer Länge von 74 Metern.Auch sie ist ausgebucht und führt 50 Passagiere mit sich. Ihre Reise geht zu den alten Ankerplätzen der Koggen von Neustadt in Holstein, Kiel, die Dänische Südsee, Kopenhagen, Südschweden mit Helsingborg und Ystad, dann Rönne auf Borgholm, Wismar und Warnemünde. Es kommt die riesige finnische Fähre „Superfast VII“, ausgerüstet wie eine Kleinstadt, die in 24 Stunden die Strecke Rostock-Helsinki zurücklegt! Wir leben in einer schnellen Welt. Von Bahnhof und Autoparkplätzenströmen immer mehr Schaulustige, drängen sich an Schaubuden, Eßständen und Trinktheken vorbei zum Kaj, denn wegen ihres Tiefgangs liegen hier die Attraktionen der Hanse Sail und Tausende wollen 2 Stunden mitsegeln, wenn die 3 Riesen per Bugsierer flottgemacht und zwischen den Molen zur Ostsee hinausfahren. Alle mussten nach dem 2. Weltkrieg als Reparations-Zahlungen abgegeben werden.Es sind stolze Schiffe!!! Es sind dies die schwarze „Kruzenshtern“, die rote „Hersones“ und die weiße „Sedov“ Ihr Tiefgang beträgt fast 7 Meter, was Warnemünde ihnen bieten kann. Bei der „Kruzenshtern“ handelt es sich um die ehemalige „Padua“, das Schwesterschiff der in travemünde liegenden „Passat“ aus der „P-Liner-Serie. Die Viermastbark ist 114 m lang und 51 m hoch.

Inzwischen hat auch eine Regatte der Superlative von Kiel aus Warnemünde erreicht. Tim Kröger steuerte die „Khersones“ und Jochen Schümann die „Sedov“. Sie starteten am Ende der Kielerwoche über die Däneninsel Bornholm und sind rechtzeitig zur Hansa Sail hier eingetroffen.

„Khersones“, das Segelschulschiff aus der Ukraine, ein 108 m langer, 51,5 m hoher Dreimast Rahsegler. Dieses Vollschiff kann 2771 qm Segel führen. Es hat 1997 Kap Hoorn umsegelt und 2004 das Kap der Guten Hoffnung. Es ist das einzige aktive Segelschulschiff der Welt, das auch einige zahlende Passagiere mitnimmt, die auch zupacken dürfen, falls sie wollen. Die Hauptarbeit im Rigg wird von 72 Kadetten, 10 Matrosen, Bootsleuten und Trainees verrichtet. Wenden dauern bis zu einer Stunde und werden kaum gefahren. Halsen sind ein Perfektions-Manöver von 90 Köpfen und 180 Händen. Eine Dauer von 10 Minuten gilt als Meisterleistung.Man bekommt Herzklopfen, wenn man die Jungs oben in den Rahen klettern und arbeiten sieht. In dieser Höhe sehen sie aus wie fleißige Heinzelmännchen.

Das russische Segelschulschiff „Sedov“ ist das größte Segelschulschiff der Welt mit 200 Seeleuten und Kadetten. Es ist ein ehemaliger Frachtsegler aus alten Windjammerzeiten, gebaut 1926, die ex „Kommodore Johnson“ und ex „Magdalene Vinner“. Den jetzigen Namen schließlich erhielt es nach dem russischen Polarforscher und Weltreisenden SEDOV.

Wir sitzen draußen auf der Mole und sehen zu, wie der rote Ball der Sonne in der Ostsee versinkt und für morgen wieder einen schönen Tag verspricht. Zwei Bugsierer fahren hinaus, um die Sedov zu holen und an den Kaj zu legen. Es ist schon finster, als die Passagiere zufrieden die Gangway herunterkommen. Am nächsten Morgen ankern wir im Schwell vor der Ostermole. Es ist eine Augenweide, als alle die Boote, die wir gestern im Fluß sahen, jetzt alle ihre diversen Segel setzen. Es weht ein Ostwind der Stärke 4-5 Bft, also ideal und bald ist der Horizont schneeweiß voller Segel , mit einzelnen rostbraunen oder grünen Tupfen dazwischen. Der Masten der Illbruck fällt durch die Höhe auf und dem fast schwarzen Großsegel, das aus Kohlefasern besteht.

Es dämmert bereits, als wir die 12 Km nach Rostock wieder hochmotoren. Die Wasserpolizei ist zu loben, wie sie kleine Segler, große Windjammer, Großfähren und querfahrende Lokalfähren per Fingerzeig dirigiert, so dass zwischen den Mohlenköpfen und Innenbojen alles reibungslos von statten geht, denn der Verkehr läuft Bootswand an Bootswand ab, dazu das Schraubenwasser und hohe Querwellen von den ewig rücksichtslosen Motorbooten. Visavis am gebührenfreien Ufer Rostocks stehen Feuerwehrautos. In der Nähe liegt Fun Too vor Anker. Um 22.30 Uhr beginnt ein Feuerwerk, welches sogar das von Travemünde in den Schatten stellt und das will was heißen!!!

Fazit, die Hanse Sail Rostock war ein Erlebnis der Superlative und dazu seit Tagen bestes Sommer-Seglerwetter. Es soll die nächsten Tage noch so bleiben.

Fun Too wird über Rügen und Bornholm wieder nah Südschweden segeln, nach dem Motto“Freiheit ist flexibel sein“.

Gertraud Filgis, Juli 2004


Siehe u.a. auch: FUN TOOs Winter in Anatolien von Traudl Filgis Siehe auch: Die Ballade von Zypern von Traudl Filgis
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