Skandinavien ade (1)

von Traudl Filgis

Es ist der 31. August 03 und die Sommersaison im Norden geht für uns zu Ende. Die Segel auf der Iroquois Fun Too sind gesetzt und der Kurs geht genau nach Süden. Die sonnenhellen Nächte sind vorbei. Wir verlassen Karlshamn, den großen Auswandererhafen vor 150 Jahren nach Amerika. Die Stadt, wo einst das „Laster gedieh“, denn Branntwein, Punsch, Tabak und Schnupftabak wurden hier hergestellt und die königl. Flotte wurde teilweise in Alkohol entlohnt. Und es gab, oh Sündenpfuhl, sogar eine große Spielkartenfabrik.

Wir blicken zurück auf Schwedens südlichsten Schärengarten, der Landschaft Blekinge, welchen einst das Inlandeis formte, mit bewaldeten Inselarchipelen, Halbinseln, kahlen Findlingen. Wie Wale ragen die nackten, vom Meer rundgeschliffenen Granitbuckel der Außenkante aus dem Wasser. Im 16. Jh, wo Dänen und Schweden als Erzfeinde um das Land kämpften, hausten in den Schären Guerillakämpfer. Sie wurden „Snapphanar“ genannt, also mit einem schnellen Gewehrabzug verglichen. Diese Widerständler wurden hart bestraft und viele Eichen wurden als Hinrichtungsplätze gekennzeichnet. Für uns waren die Schären ein nie langweiliges Segelrevier mit viel Augapfelnavigation, denn in diesem Labyrinth hilft der GPS auch nicht aus der Patsche. Oft durchpflügten wir dabei milchigweiße, flockige Algenteppiche.

On the road again

Das Kastell, vor dem Hafen gelegen, wird kleiner.Größer wird unser nächstes Ziel, die Insel Hanö. Mit nördl. Luftströmung ist es ein gemütliches Vorankommen Richtung Hanö, entlang der Landschaft von Nils Holgersson. Querab Noggersund, dann Hällevik, bedeutende Fischereihäfen Südschwedens mit Räuchereien. Dort sahen wir mal Iltisse (Nerz), entkommene Exemplare aus Zuchtfarmen in der Nähe. Diese wurden extra angelegt, um den anfallenden Lachsabfall der Räuchereien zu verwerten, der beim Filetieren zu Hauf anfällt.

Hanö

Die Insel, ein Granitberg in der „Biscaya Schwedens“ gelegen, ist mit ihrer Silhouette ein Peilpunkt für die Seefahrt dieser Küste. Der Leuchtkegel des Feuers reicht 20 sm weit. Nach 8,5 sm laufen wir in den kleinen Hafen ein. Er bot schon immer Schutz, sowohl für Handels- als auch für Kriegsschiffe. Im Juni 1810 wurden hier über 1200 Handelsschiffe durch Napoleons Blockade gegen das Inselreich von über 20 Kriegsschiffen dort festgehalten. Unter dem engl. Admiral Saumarez, der das alte Flaggschiff Nelsons, die „Victory“ befehligte, wurde die Blockade durchbrochen. Es muß großartig ausgesehen haben, als tausende von Segeln gen Süden zogen. Sehr zum Leidwesen der Blekinger, die just von der Blockade durch Tauschgeschäfte gelebt hatten.

Wir gehen auf Entdeckung gen Norden, zum Leuchtturm am Orbetsberg, zur Grotte mit tiefen Gängen, zum engl. Friedhof, den die Royal Navy heute noch manchmal besucht. An der nördl. Inselspitze, genannt „Bönsäkken“, Geb etssack, liegt ein bemerkenswertes Riff. Millionen von ovalen, wassergeschliffenen Steinen werden permanent von den Wellen bewegt. Das ganze Riff wandert in den Winterstürmen. Die Südseite von Hanö ist von Büschen durchzogen. Von 2 m hohen Brombeersträuchern hängen uns die daumendicken süßen ‚Früchte in den Mund.

In der Dunkelheit wandert der Lichtkegel des Turms blinkend seine Runde. Dabei fällt mir der schwedische Bauernsohn Gustav Dale´n ein, der aller Seeleute Freund und Retter wurde und zwar durch seinen 2snilleblixt2, wörtlich übersetzt: Geistesblitz. Und zwar wurde das Licht der Leuchttürme durch ausströmendes Acethylengas in Stücke, bzw. diverse Intervalle getrennt. An diesen individuellen Lichtreflexen konnte man sich ab dato bei Dunkelheit orientieren und zwar vom Nordkap bis Kap Horn. Für diese Erfindung erhielt Dale´n 1912 den Nobelpreis der Physik. Bei einem späteren Experiment verlor er durch eine Gasexplosion sein Augenlicht. Wir alle sollten ihm dankbar sein für das leitende Licht in dunklen Fahrwassern, das den sicheren Weg zeigt. Es hat zweifelsohne schon unzähligen Menschen das Leben gerettet. (Heute wurde das Gas durch andere Technik ersetzt.)

Nächster Morgen, 1. September Wetterlage: ein umfangreiches Tief liegt über Russland und beschert Ostwind. Ein kleineres Tief hinter und über uns vertieft sich, soll nach Litauen ziehen. Im Horizontalhalbkreis von Süd-West-Nord stehen 3 Gewitterfronten. Der Regen lässt am Horizont Wolkenschleier uns See eins werden. Das Radio sagt Ostwinde von 13-14 skm = 6-7 Bft. An „Kulingvarning“ für unser Gebiet. Bis Simrishamn sind es 35 sm. Noch ist der Wind moderat. „Los, los, den Schiebewind muß man ausnutzen.“ Kurze Hektik, dann sind wir, nur mit der Genua, unterwegs. Von Steuerbord her kommt ein norwegischer Frachter auf. Wir lassen ihn vorbei, denn man hat ja gelernt: Arbeit geht vor Vergnügen, ob mit oder ohne Segel! Die Berufsschifffahrt steht weltweit unter Zeitdruck, denn Zeit kostet Geld. Auf den Brücken macht daher teilweise überarbeitetes Personal Dienst, dem gesunde Skepsis statt sportliche Naivität entgegenzubringen ist. Und so fallen wir rechtzeitig ab, um ihr Adrenalin nicht unnötig zu strapazieren. Unser Reichtum ist es, Zeit zu haben. Außerdem soll es neben „Seelenverkäufern“ auch Fahrzeugführer geben, die von der christlichen Seefahrt schon deshalb nicht viel verstehen, weil ihre Schiffspapiere illegal erworben wurden und wenn dann noch der Trostfaktor Alkohol dazukommt…., na dann Schiff ahoi!

Zwei Stunden lang ist es ein ruhiges Segeln. Dann löst der Seewetterbericht seine Vorhersage ein. Es frischt immer mehr auf und der Seegang wächst und wächst, dabei halten wir nichts von Superlativen. Die Genua wird ganz weit gefahren. Vier lange Stunden noch segeln und surfen wir, fallen in Täler und werden hochgehoben. Der Skipper steht am Ruder. Fun Too dreht sich quer, wird wieder vor die achterlichen Wellen gebracht, surft, bleibt für Sekunden scheinbar auf hohem Wellenkamm stehen. Der Schaum verliert sich vor den Rümpfen, der Katamaran senkt sich und hebt sich wieder beschleunigend und der „Kulingtanz“ in der schwedischen Biscaya beginnt von vorne. Das Kräftemessen mit der Natur im Herbst hat’s ganz schön in sich. Nur ein einziges Mal sehe ich zurück. Das reicht dann für die ganze restliche Strecke. Eine Gewitterfront zieht mit uns. Ob sie uns erreichen wird? Dazu ist der Nordwind kalt. Trotz dicker Bekleidung frösteln wir.

Auf halbem Weg sehen wir an Steuerbord am Horizont 2 Zementwürfel als Silhouette. Es ist Ahus. Dort, am Kai von Vin & Spritbolaget, lagen wir mal eingeweht. Es ist die „Heimat“ vom weltbekannten Absolut-Wodka in der charakteristischen Flasche. Endlich erreichen wir die gelb-schwarze Tonne, unseren Waypoint. Noch 2 sm zum Hafen. Vor der Einfahrt geht es mit vom Ostwind aufgewühlter, steilen Heckwelle zwischen den rot-grünen Stangen hindurch, hinter die Kaimauer, über welche die Wasserkaskaden der „kuling“ spritzt. Der Skipper legt trotz des Starkwindes ein perfektes Anlegemanöver hin, nur die Motorsteuerung aus Aluminiumguß bricht dabei ab. Die Iroquois hat ihre Feuertaufe bestanden. Schnell noch die Genua weggestaut und rein in die gute Stube, denn schon prasselt der Regen aufs Kajütdach. Das war Timing!! Als wir später einen Spaziergang machen, surfen unsere Gleichgewichts-Sinne immer noch mit uns rum. Im kleinen Park pfeift der Wind und pflückt das gelbe Laub aus den Bäumen.Simrishamn: Die Stadt-, Fischer- und Sporthäfen sind relativ groß.Übernachtung 8.- Euro.

Die Kleinstadt wurde Dank des Herings einst bedeutend. Der Fisch ist im Stadtwappen verewigt. Der Ort strahlt Charme aus, Die niedrigen Häuser in Pastellfarben oder Fachwerk, deren 1. Stockwerk schon Mansarde ist, liegen in langen Reihen aneinandergebaut, längs engen Gassen mit buckligen Pflastersteinen aus Granit. An Mauerwerk ranken sich Rosen hoch, die Gärten sind Kleinode und viele Haustüren sind geschnitzte Kunstwerke. Die St. Nikolaikirche mit abgestuftem Satteldach aus dem 11. Jh., ist aus grau-beigem Hallastein gebaut. Sie gleicht teilweise eher einer Festung denn einer Kirche. Am nächsten Tag repariert der Skipper mit Hilfe einer kleinen Werkstatt die Motorsteuerung des AB Yamaha 9,9 PS. 6,5 sm weiter südlich liegt der nette Hafen Skillinge. Es gibt einen reich sortierten Yachthandel und die Übernachtung ist schon kostenlos. Es ist klar und morgen soll es schön sein und wärmer werden.

Bornholm

Ein moderater Nordwest mit hoher Dünung schaukelt uns zur dänischen Insel Bornholm. Sie ist zentral in der Ostsee gelegen und gibt dem Segler die Möglichkeit, sternförmig seine Ziele zu wählen. Die umliegenden Länder wie Schweden, Deutschland und Polen liegen inkürzeren Abständen wie das dänische Mutterland. Bornholm ist die 5.größte Insel Dänemarks. Am Dampferstrich herrscht reger Verkehr. Alle sind sie vertreten: ein finnischer Schnell-Jet mit 10 Etagen Hotelzimmern, eine Polenfähre, Tanker, Kümos, ein russisches Binnenschiff a la „Wolga“ aus St. Petersburg und ein riesiges Containerschiff. 2 Frachtern weichen wir aus. Verschwommen taucht am Horizont die Kontur der Insel auf. Diese Insel haben wir 1995 mit der Antigua Fun Too, vom IMM ‚Treffen in Altefähr auf Rügen kommend, segelnd umrundet. Von Rönne, der Hauptstadt Bornholms, fuhren wir auch per Rundreisebus zu vielen Sehenswürdigkeiten dieser blumengeschmückten Insel mit den gepflegten, bunten Fachwerkhäusern. Als Attraktion gelten die 4 Rundkirchen des frühen Christentums. Sie waren Bollwerke nicht nur der Religion wegen und besaßen früher eine Galerie für Bogenschützen und Soldaten. Der Hafen von Rönne war im 2. Weltkrieg von der deutschen Marine annektiert und wurde deshalb am 7/8. Mai 1945 von den Russen bombardiert

Wir steuern auf Hammeroddefyr, die nordöstl. Ecke zu, den nördlichen Teil Bornhoms, den man Hammerknuden nennt, ein nahezu unberührtes Naturgebiet, mit Höhen, Tälern, Schluchten, Nach der Rundung des kabbeligen Kaps liegen die Zwillingsstädte Sandvik und Allinge vor uns, die fast zusammengewachsen sind, aber je einen Hafen besitzen. Wir segeln auch vorbei an Tejn, wo ein großes Hafenbecken wäre.

Nach 30 sm bergen wir die Segel vor Gudhjem. Die Stadt hat zwei Häfen. Der Haupthafen war, als er noch nicht erweitert wurde, gegen Oststürme total offen und unpassierbar, was heute noch passieren kann. Deshalb wurde um die Huk nördlich 1902 der winzige Sturmschutzhafen Nörre Sund angelegt. In diesen steuert Fun Too rein. Der Westschwell ist mit der Zeit eher einschläfernd denn ungemütlich. Der Haupthafen liegt um die Ecke, ca. 400m nebenan, zu Fuß ein Spaziergang von 5 Minuten. Die dänischen Häfen kosten einheitlich für unsere 9 m Länge 14,-- Euro.

Gudhjem

Die Stadt ist ein Schmuckkästchen und daher die Stadt der Touristen. Buntes Fachwerk schmiegt sich an einem steilen Hang hoch. Am 47 m hohen Klippknoll steht eine Bank neben der Flaggenstange, von welcher der weiß-rote Danebrog knattert. Wir genießen den Ausblick, während dickwollige Schafe zwischen Dornengestrüpp und lila Erika nach Freß0barem suchen. Unter uns liegt der Ort und von Fun Too ist nur der Mast zusehen und über allem schwebt der Rauchgeruch der Fischräuchereien. Das Silber des Meeres, der Hering, wurde zu Gold des Meeres, als die Fischer am Hafen die Räuchereien bauten. Heute sind diese mit ihren charakteristischen Schornsteinen ein beliebtes Touristenziel und werden bussweise heimgesucht. In der Saison räuchert man fast täglich auf die gute alte Art, d.h., auf Kosten abgeholzter Eichen und Buchen, die verheizt werden. Am nächsten Morgen treffen die ersten Reisebusse schon zeitig ein. Bei den PKW`s sind deutsche Nr.-Schilder in der Mehrzahl. Anscheinend wollen alle Gudhjem sehen. Diese Stadt steht auf jedermanns Hitliste des Besuchsprogramms oben an. Schon um 8 Uhr geht die erste Fähre zur Christiansö. Einige Touristen (das sind immer die anderen), wandern den Waldsteg entlang dem Meer, der zu einem Aussichtsplatz mit hohen Menhirsteinen führt. In der Glasbläserei werden die ersten glühenden Rohmassen mit langen Blasrohren aus Glutöfen geholt und durch Drehen, Blasen, Formgeben und Abzwicken entsteht das erste Unikat als Vase. Wir gehen Brombeeren essen, finden eine Menge essbarer Pilze und landen später trotzdem am Buffet des Fischrestaurants.

Wir wollen zu den 10 sm entfernten Inseln Christiansö und Fredriksö. Vor über 300 Jahren legte König Christian V da eine Festung mit Flottenstützpunkt an. Es gibt dicke Granitmauern, Kanonenbasteien, Türme, lange gelbe Mannschaftskasernen, usw. Die beiden Inseln verbindet eine Brücke über den kl. Hafen.

Fortsetzung: "Skaninavien ade (2)" Traudl Filgis


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