Die Fethiye Multihull Week 2004

von Carlo Backhausen

Segeln zwischen Asien und Europa

Unser Schiff, die Belize43, fanden wir via Internet in Marmaris, recht nah an dem Ort, den mein virtueller Segelclub „multihull.de“ – sprich das Portal des Münchners Othmar Karschulin – als diesjährigen Treffpunkt seiner Mitglieder ausgesucht hatte: Fethiye in der Türkei. Eine Dame unserer beiden Doppelkopf-Runden war schon dort und berichtete nur Gutes. Das zündete und wir begannen sofort mit Logistik. Ein Linienflug zum Marmara-Meer war ebenso teuer wie ein 14-tägiges Komplett-Angebot von Neckermann. Was lag da näher, als das Hotel eine Woche leer stehen zu lassen und auf dem Schiff zu leben ?!

Wir empfanden es als Rückschritt, die Doppelbetten auf dem Schiff zu verlassen und in Karo-Einfach-Einzelbetten umzusteigen; auch die Hotel-Dusche konnte nicht mit der des Schiffes konkurrieren. Kurzum, es war – trotz dreier Sterne für Unterkunft und Restaurant – auf dem Schiff alles besser. So benutzten wir das Land-Refugium mehr oder weniger zum Schlafen und Essen.

Am Tage sind wir exkursioniert und haben uns alte Steine angesehen, die sich so weit zurück datieren lassen, dass sie Gajus Julius Caesar und Marc Anton schon gesehen haben mögen, als sie durch diese Gegend zogen. Wir badeten im Schwefel-Schlamm und ich machte Jagd auf eine Blau-Krabbe im Brackwasser des Dalyan-Deltas, wir sahen Baumwolle wachsen und beim Knüpfen von Seide-Teppichen zu (Lilo holte unsere zwei Freunde aus Kaufverhandlungen heraus und rettete sie vor einer „Investition“), wir überbrückten die Meerenge zwischen Asien und Europa mit dem Kat und sahen uns unvorbereitet dem Nachlass der Kreuzritterschaft gegenüber.

Schon die Mauerspalten von Rhodos erzählten Geschichten, aber richtig interessant wurde es, als wir uns einer englischen Reisegruppe anschlossen, die sich um einen gebildeten Griechen scharte. Mit dem hätten wir Tage und Wochen verbringen mögen, so spannend erzählte er mit nicht wenig Stolz auf seine Ahnen in einer der Hochburgen europäischer Kultur zu dieser Zeit. Wir sahen ihm nach, dass er die wahren Gründe der Ritter für ihre Kreuzzüge verschwieg. Nicht wenig erstaunt waren wir zu hören, dass die Umgangssprache in den Gremien dieser erlauchten Gesellschaft (nobles, – nicht Latein, nicht Griechisch, nicht Englisch – ) Französisch war ! Der Reiseleiter einer unserer Exkursionen in Anatolien schien mal Lehrer gewesen zu sein, denn abends fragte er ab, was er uns im Verlauf des Tages an Fakten vorsetzte. So kolportierte er die Genesis des Namens für die Stadt Marmaris nicht nur mit der Version „Fundort von Marmor“, sondern auch mit der Übersetzung von „hängt den Architekten“. Letzterer hatte nach Meinung des damals herrschenden Sultans die Stadtmauern so nachlässig gezogen, dass sie von feindlichen Truppen eingenommen werden konnte – nicht aber das vorbildlich gesicherte Eiland der Kreuzritter.

Seit wir die Reise planten hatte ich im Hinterkopf, für mich den Deckel des Faszinosums Rhodos zu lüften. Ich fragte viele Türken nach Rhodos (zu dem sie fast rüberspucken können, wie sich später herausstellte), ob sie jemals dort waren. Alle verneinten erstaunt. Unser Hotel lag zwanzig Minuten Fußmarsch und zweihundert Meter hoch über dem Strand von Turunc. Bei schweißtreibenden Temperaturen ging da schon mal der Daumen hoch bei vorbeifahrenden Autos. Ein Skoda hielt und der Fahrer sprach mit uns gleich in drei Sprachen. „Waren Sie jemals im Leben auf Rhodos?“ „Ich bin jeden Tag auf Rhodos“. „Dann sind Sie Kapitän ?!“ „Nein“. „Dann sind Sie Flugzeugführer“. „Nein“. Er hat Satelliten-Fernsehen und sieht täglich den dortigen Sender, argwöhnte ich. Zwanzig Minuten später flog ein Hubschrauber an uns vorbei, aus der Richtung, in die der Pilot verschwunden war – in Richtung Rhodos.

Wir ließen die sonnenhungrigen beiden Frauen an Land und begaben uns auf eine Katamaran-Fähre. Die prognostizierte Reisedauer für die Überfahrt ließ mich aufhorchen: Dreiviertel Stunde. Und kaum waren wir aus dem Hafen von Marmaris raus und bogen um das letzte Felsenriff, lag der Klotz schon vor uns. Um diese Insel – nach einer Volksbefragung 1998 griechisch – richtig kennen zu lernen, braucht man mindestens eine Woche und hat dann noch nicht die Hälfte gesehen.

Aus verschiedenen Richtungen bekamen wir zarte Hinweise auf die Mentalität der „geschäftstüchtigen“ Inselbewohner, nichtsdestoweniger wollten wir eigene Erfahrungen machen. Unter einem uralten riesigen Gummibaum, der fast die gesamte Piazza überragte, machten wir es uns nach der Bergbesteigung erstmal bei 30° Grad im Schatten bequem. Zwei Wirte, die auf diesen Platz mit einer eisernen Kette ihre Gäste voneinander trennen, beschimpften sich über den ganzen Platz hinweg als Betrüger (der Nordgrieche gleich mit Übersetzung ins Englische, damit wir auch was davon hätten). Der Einheimische nannte seinen Konkurrenten „Bulgare“. Sie sagten auch nichts Freundliches über die Speisen des jeweils anderen. Ein Glück, dass wir noch keinen Appetit hatten ...

Auf dem Weg vom Glockenturm, der höchsten Erhebung der Ortschaft, von wo aus wir uns einen Überblick über das Welt-Kulturerbe verschafften, gefielen mir Goldkettchen sehr gut, von denen ich Lilo eines hätte schenken wollen. Der Juwelier hatte vor seinem Anwesen einen Stand ins Freie gestellt. Bei jedem Kettchen, das er von der Rolle auf Länge zu schneiden bereit war, musste seine Tochter als lebendes Modell herhalten. Eigentlich sah jedes Kettchen in ihrer freizügig bekleideten Hügellandschaft sehr gut aus. Schlug ich nicht gleich zu, lag schon ein neues Kettchen zwischen Berg und Tal. Der Mann muss mit dieser Methode sehr erfolgreich gewesen sein, er strahlte und die Tochter auch. Bei meinem letzten Gebot – 25 Prozent unter seinem – schieden sich die Geister. Er kam wütend fluchend hinter uns her und ich erwartete eine physische Attacke, bis er schließlich von uns abließ, einen bitteren Nachgeschmack hinterlassend ...

Ein Blick auf die Internetseite von Rhodos hilft geschichtlich weiter: „Die Stadtmauer wurde im 15. Jahrhundert auf die jetzt noch erhaltene Breite und Höhe vergrößert, nachdem die Türken – Osmanen, wie sie sich damals nannten – im Jahre 1480 mehrfach versucht hatten, die Stadt einzunehmen. Der Stadtgraben wurde auf 20 Meter verbreitert. Die verschiedenen Landsmannschaften des Johanniter Ordens sicherten jeweils einen zugeteilten Abschnitt. Aber noch vor der endgültigen Fertigstellung wurden die Angriffe von "Suleiman dem Prächtigen" so übermächtig, dass die Johanniter Ende 1522 kapitulierten. Mit mindestens 400 Schiffen und 60tausend Soldaten belagerte Suleiman die Insel seit Juni 1522. Den Angreifern standen nur 600 Ritter und etwa 7tausend Soldaten gegenüber - ein wahrlich ungerechtes Verhältnis. Von da an blieben die Türken fast 400 Jahre die Herrscher der Insel. Die Johanniter hingegen fanden eine neue Heimat auf der Insel Malta.“

Ja, gesegelt haben wir auch. Wir waren immer Erste – auf der Startlinie ! Danach ging ein Bangen für das erste Manöver los. Mal blieb die Schot der Rollfock an den Fallwinschen des Mastes hängen, mal waren Backbord- und Steuerbordschot zugleich gespannt, mal hing der Baum einen halben Lauf lang in einer vergessenen Bullentalje vom Vortag. Mal rannten wir uns an Bord gegenseitig um. Ich konnte meine Augen nicht überall haben, Sicherheit und Ausweichmanöver hatten Priorität und wir wollten die Kaution wieder haben (die von 2003 auf der Ostsee hatten wir herausprozessieren müssen). So segelten wir bei drei bis vier Beaufort auch ein paarmal rückwärts und verspielten die am Start gemachten Vorsprünge.

Das Ambiente und die Stimmung an Bord dämpften meinen Siegeswillen in Richtung Gelassenheit. Die Kapitänstocher Ursel („mein Vater war der Herr über 1999 Brutto-Register-Tonnen“ und unsere Köchin an Bord) hatte mit dem Papa die Weltmeere bereist, aber dabei nichts über Segeln erfahren. Ihr Mann („Hermann, was machst du ?“ wenn er aus ihrer Sicht war), der zuletzt vor fünfzig Jahren als Schüler eine Holzjolle unbekannten Typs im Hamburger Hafen steuerte, kannte Regatten aus dem Fernsehen. Einzig Lilo hatte eine einwöchige Cat-Erfahrung von einem Törn nach Dänemark mit dem Edelcat35.

Entspannung vom Geschehen auf dem Wasser gab es jeden Abend. Was wir bisher aus Filmen kannten, römisch-katholisches Anlegen am Restaurant-Steg, gedeckte Tische in Reichweite, hilfreiche Hände der Wirtsleute an den Achtersprings und Moorings, alles nun Realität ! Tischnachbarn und -gegenüber noch zufällig. Die Gunst der Offenheit beim Kennenlernen nutzend herausfinden, wer bei der Preisgabe seiner Herkunft auf Fundgruben sitzt. Als zwanzigjähriger Aldi-Kunde schwelte mir die Frage im Kopf: Wer ist der Mann – die Frau – hinter einem geliebten Produkt ?

Da sitzt er. Bescheiden. Froh, sich dem Segler-Leben aussetzen zu können, der Dritte in der Reihe von vier Generationen, die eine kleine Bäckerei zum führenden Industrie-Unternehmen von Dauerbackwaren brachten. Ich lese keine Kriminalromane, sehe keine Krimis im Fernsehen, die Realität des Lebens ist spannender. Wie entsteht bei Aldi ein Preis ? Wie hält man die Qualität eines Produktes, wenn die Konkurrenz optisch gleichzieht, aber billiger liefert ? Isst man seine Produkte selbst ? Wie passt man seine Mannschaft (siebenhundert) den Schwankungen des Marktes an ?

Werner, darf ich zu ihm sagen, macht eine Pause und sein Schwager nebenan hakt sich ins Gespräch, er liefert Technik für die Fertigungsstraßen. Er bricht schon mal einen gerade begonnen Urlaub mit Frau ab, verzichtet auf das angebotene Privat-Flugzeug und setzt sich für die siebenhundert Kilometer ans Steuer seines Autos, um eine ins Stocken geratene Produktion wieder zum Laufen zu bringen. Daneben der Mann, der die Plän'sche (pfälzisch für kleine Zeichnungen) macht, der Koch an Bord; nicht zu überhören der Skipper, der vor einer Stunde nur zwei Minuten brauchte, um seine Mannschaft davon zu überzeugen, dass es richtig ist, nicht weiter nach der Ziellinie zu suchen, ein Alptraum für mich, unter seinem Kommando zu segeln. Über allem lagert der Geruch von Pinien, gebratenem Lamm und Knoblauch. Prost pralles Leben.

Er nennt sich seit zwei Tagen „euer einziger Zuschauer“ und hat neben uns mit seiner „Eucume de Mer“ festgemacht. Unser Schiff ist sein Traum. Er könnte es sich leisten, verlöre er nur eine halbe Million Euro an dem Bauernhof, den er nach der Restaurierung der Gebäude zu verkaufen gedenkt. Bis dahin muss er sich weiter mit der Freundin in die schlanke Eucume zwängen (wer die Dame sieht, hält das für keinen Nachteil :-). Er war mal Designer und Produzent von hochwertigen Lautsprechern, Beraterverträge mit Industrie-Giganten inklusive, alles Geschichte. Jetzt lebt er vom Ersparten. Er fasziniert, nicht nur mit seiner Erfolgsgeschichte – er hat nur noch das rechte seiner beiden Augen, das linke ist ein Krater. Zwei Stunden brauche ich, um die Frage nach der Entstehungsgeschichte des Kraters zu stellen. Er springt sofort an. Sechzig Meter flog er durch die Luft, als ihn ein betrunkener Autofahrer in einer Kurve von seiner Easy Rider holt. Er landet auf einem abgeernteten Sonnenblumenfeld. Der Strunk kam ihm am Hinterkopf heraus. Einäugig schleppte er sich nachts an den Straßenrand, wo ein zweites Unfallopfer lag, leblos. Er kämpft, monatelang, die Ärzte verlangen ein Vermögen, aber er kommt durch ... Die BELIZE war das Beste, was mir in meiner Segler-Laufbahn steuern durfte. Sie kommt aus der französischen Werft FOUNTAINE PAJOT. Man geht dort wenig auf Massengeschmack ein (sonst würde man Einrumpf-Schiffe bauen), dafür auf Eigner-Wünsche. Wir hatten das Glück, ein solches Schiff chartern zu können. Es blieb kein Wunsch offen. DANKE Peter Nölle von OFFSHORE SAILING YACHTCHARTER in Marmaris. Und auch Othmar Karschulin, der mich bei Peter Nölle in ein Licht rückte, das es dem Geschäftsführer leicht machte, sich für eine Woche von seiner Schönheit Belize zu trennen. Wir haben sie ihm, sein Vertrauen honorierend so zurückgegeben, wie er sie uns übergab: blitzblank.

Wenn es geht, möchten wir 2005 wieder dort sein, wo es uns sehr gut gefallen hat: bei dem drängelnden Kandidaten für die Europäische Union. Wenn Europa seine Grenze nahe von Euphrat und Tigris hat, ist es um einen ungeschliffenen Diamanten reicher, es könnte ein Brillant daraus werden !

Ich bedanke mich bei Christian Grünert, dem Großmeister Wiener Charmes und prickelnden Schmähs, dem Mann vor Ort, dass er alles so leicht und locker auf die Reihe brachte; bei dem Startschiffer Hansi und seinem britischen Lord auf der Brigantine; bei Paul, dem Geschäftsführer eines Internet-Dienstleisters für Handreiche und Abschleppen des Dinghis; beim feudalen Fethiye Yachtclub für den Schnell-Tauch-Einsatz beim Freikämpfen unseres Steuerbord-Propellers; und schließlich bei Othmar Karschulin, dem „spiritus rector“ des Treffens.

Othmar und Christian haben jetzt, wie schon zuvor Astrid Haupt in Mallorca, einen historischen Verdienst um die Mehrrumpfszene in Europa.

Carlo Backhausen

 Bericht zur Multihull Sailing Week 2004

 Vorschau auf Fethiye 2005