(März 2004) Vieles von dem, was im weiteren Text angesprochen wurde, hat sich in den letzten Monaten durch eigene wissenschaftliche Windkanalversuche relativiert. Alle Daten und Auswertungen dazu wurden im Multihull Report veröffentlicht.
Nimmt man die Ergebnisse von Herrn Marchaj für bare Münze, zeigt sich, daß das Bermudarigg weder auf speziellen Kursen, noch in der generellen Leistung eine Spitzenposition einnimmt. Gaffelsegel, Sprietsegel oder Krebsscherensegel sind besser, ja sogar das uralte Lateinersegel kann, wenn optimiert zumindest mithalten. Hinzu kommt noch der ökonomische Aspekt. Warum ein Hochrigg mit teuren Zusatzsegeln aufs Boot setzen, wenn man für einen Bruchteil der Kosten dieselbe Leistung mit einem anderen Rigg haben kann? Mit rationalen Erwägungen läßt sich das nicht mehr erklären!
Übersicht der in den diversen Diagrammen und Grafiken verglichenen Rigg-Arten:
Zur Erklärung des nachfolgenden (umstrittenen) Diagramms von Marchaj zuvor ein wenig 'Arithmetik' (hilft nix):
Seine Segelkriterien für verschiedene Kurse setzen sich so zusammen:
Kurs | Ziele zur Erreichung der opimalen Geschwindigkeit |
Am Wind | Hohes L/D Verhältnis, d.h. möglichst geringe Krängungskomponente (D), z.B. durch niedrigen Segeldruckpunkt und/oder geringen Windwiderstand |
Halber Wind | Hoher CLmax, d.h. nur noch das Erreichen eines größtmöglichen Vortriebskoeffizients (L) ist relevant, da die Krängungskoeffizente geringer wird (D) |
Vorm Wind | Hoher CD = CX (max. Widerstand (D) mit max. Segelfläche) |
Bei dem unten stehendem Diagramm (S. 159, Fig. 139) wurde ein Fehler? entdeckt. Der erste Scheitelpunkt bei der Crabclaw-Kurve liegt hier bei Cx = 1,4 gegenüber Cx=1,6 bei der analogen Kurve auf der nächsten Seite (Fig. 142) im Buch "Sail Performance" von C.A. Marchaj.
Auf der Basis der errechneten Flächeninhalte im Verhältnis zum Krebsscherensegel entstand folgendes Diagramm:
Doch nicht Marchaj alleine trägt die Last der Überzeugungsarbeit zugunsten anderer Riggs. Ein Blick in den Artikel von Colin Palmer (Wooden Boat 92) bringt folgendes Diagramm zu Tage:
Wie man hier sieht, ist der Vorteil Krebsscherensegel im Vergleich zum Steilgaffelsegel schon relativiert. Wenn man die amWind-Kurse zu 50% der gesamten gesegelten Zeit annimmt, schrumpft der Vorsprung weiter. Nichts desto trotz dominiert das Krebsscherensegel ab 90 Grad wahrem Wind. Stellt sich natürlich die Frage nach dem scheinbarer Wind. Schade, daß in dieser Grafik nicht das Bermudarigg aufgenommen wurde.
Ein anderes Diagramm von Gifford Technology vergleicht die Geschwindigkeit der drei Riggtypen Sprietsegel (grün), Gaffelsegel (rosa) und Lateinersegel (gelb) mit dem Bermudarigg (rot=100%). Hier steht das 'uralte' von allen belächelte Sprietsegel als Sieger da. Von der UN (FAO) durchgeführte Vergleichstests in Indien haben wiederum das Steilgaffelrig (Gunter) als optimal ermittelt.
Diesen ganzen Tests liegt wohlgemerkt der Alttagsnutzen für Fischer (und somit für Fahrtensegler?) und nicht der kostenintensive Regattabetrieb zugrunde! Die Riggs wurden live auf einfachen offenen Fischerbooten erprobt.
Warum wird also seit Beginn des Segelsports das Bermudarigg so bevorzugt? Warum wird jede Menge Entwicklungspower in das Bermudarigg investiert, um dort das letzte Prozent Leistung herauszukitzeln, während alle anderen Riggformen zu Mauerblümchen degradiert werden? Sind es Verbandsfunktionäre, Bootsdesigner, Segelmacher, die Meinungsmacher der Segelpresse oder gar die Segler selbst die auf der Innovationsbremse stehen? Ist es Ignoranz oder nur ein Informationsdefizit? Colin Palmer hat es uns gesagt: Der Regattasport mit seinen überzogenen Regeln und Formel!
Löbliche Ausnahme "James Wharram", der mit seinem Gaffel-Wingsail auf den TIKI's oder sogar mit einem Deltasegel auf seiner MELANESIA "neue Antriebsformen" der breiten Masse anbietet. Oder Walker, der leider mit seinen Wingsail-Trimaranen Pleite gegangen ist. Aber sonst? Welche Werft betreibt heute "Grundlagenforschung", welcher bekannte Konstrukteur traut sich gegen die "kommerzielle Marktanalyse" anzutreten? Apropos, auch "Fabrik-Monos" sind nicht vom Vorwurf der Einfallslosigkeit ausgenommen, wie stellvertretend ein Boot der "neuen Generation" zeigen könnte:
Das das Delta-Prinzip nicht nur pazifische Ursprünge oder zumindest schon vor vielen Jahren adaptiert wurde, zeigt das Beispiel der traditionellen brasilianischen "Maranho's". Vielleicht kann sich hier die "moderne" Riggindustrie mal etwas abgucken. Es sieht auf jeden Fall faszinierend aus:
Statt Millionen in Weltregatten zu verpulvern, könnte man sich leicht ein Innovationsdenkmal setzen. Vielfalt statt Gleichmacherei! Ist mit Herreshoff im letzten Jahrhundert die Kreativität im Segelsport ausgestorben? GottseiDank nein. Einzelkämpfer, bösartig auch "Spinner" genannt, müssen, wie zumeist die Last der Erneuerung tragen.
Anregungen, Richtigstellungen, Wutanfälle wie immer an mich: Othmar Karschulin
Eure gesammelten Kommentare zum Thema
Ich habe mich bei den Erklärungen recht großzügig aus Herrn Marchaj's Buch bedient. Er und sein Verlag mögen mir im Interesse der Sache vergeben. Wer tiefer einsteigen will, kann das Buch bei "Adlard Coles Nautical, A&C Black Ltd London" kaufen (ISBN 0-7136-4123-1).
Links zu einigen Andersdenkern:
Tahiti Wayfarer
Mr.Smith amazing sailingboats
Stevensons projects
Dave Culp Speedsailing
Krebsscherensegel aus dem Dschungel